Interview mit Carolin Gmyrek: Von 27. bis 30. März heißt es für Buchfans wieder – auf nach Leipzig, zur Buchmesse. Und schon immer gab es da mit „Leipzig liest“ ein kreatives Begleitprogramm mit durchaus eigensinnig-ausgefallenen Veranstaltungen. So auch am Samstag, 29. März ab 20 Uhr in der Eichendorffstraße 7, 04277 Leipzig. Gastgeber ist Franz van Hops, Carolin Gmyrek  ist die Moderatorin, Janika Rehak, Tom Finn und Vincent Voss werden lesen, der Eintritt kostet 35 Euro – inklusive Beertasting. Mehr dazu bei mir auch hier: Ein Interview mit Franz van Hops.

Titel des Ganzen ist wirklich das, was in meiner Überschrift steht: „Die phantastischen Bierwesen und wo sie zu trinken sind“. Eigensinnig? Ja und nein … Eigensinnig begann es sicher, inzwischen kann die Veranstaltung durchaus schon als Tradition gelten. Sagt Carolin Gmyrek. Die muss es wissen, denn sie moderiert nicht nur, sondern war von der ersten Sekunde bei der Organisation des ungewöhnlichen events mit dabei.

Porträt von Carolin Gmyrek als Moderatorin der phantastischen Bierwesen

Darum habe ich Carolin Gmyrek auch gleich mal interviewt – das auf dem Foto ist sie …

Die Welt der Phantastik und Fantasy

Liebe Carolin, du hast mir geschrieben, die Lesungen seien gut angekommen in der Welt der phantastischen Bierwesen und bei Leser:innen des Phantastischen  … Kannst du bitte mal beschreiben, wie wir uns das vorstellen können, wenn wir nicht so direkt in dieser Welt „zu Hause“ sind?

Vermutlich ist die Welt der Phantastik und Fantasy – also die Bubble und jene, die dazugehören – ebenso schwierig zu beschreiben, wie die Genres selbst. Am Ende möchte ich es kurz zusammenfassen mit allem Surrealen und dem, was Elemente beinhaltet, die in unserer gemeinschaftlich anerkannten Realität nicht dazugehören. Also Fantasy, Horror, Phantastik, Science-Fiction. Selbst das ist vermutlich viel zu oberflächlich und kurz gefasst. Und so unterschiedlich diese Genres sind, um so unterschiedlicher sind auch die Menschen, die diese mögen.

Ein bunter Haufen an Individuen, die im besten Fall zu einer großen Bubblefamilie gehören. Jedenfalls habe ich so die Selfpublisher*innen, Autor*innen, Verlagsmenschen und Lesenden kennengelernt. Auf den verschiedensten Events treffen sie sich, lachen und reden, stehen an Ständen und kaufen Bücher.

Ein Erfolg: die imaginäre Wand zwischen Vortragenden und Gästen einbrechen

Es gibt auch viele Lesungen, doch meistens stehen sich Vortragende und Zuhörende gegenüber. Ich experimentiere oft mit Veranstaltungsideen, die noch einen Schritt weitergehen. Ich versuche, diese imaginäre Wand zwischen Vortragenden und Gästen einzubrechen und die Scheu davor zu nehmen, die Lieblingsschreibenden in einer ungezwungenen Atmosphäre zu treffen. Die Frontallesung soll zu einem Event werden, wo das Erleben einer Geschichte auf vielen verschiedenen Ebenen stattfinden kann.

Als ich die Bierwesen auf diese Art das erste Mal stattfinden lassen habe, hatten wir eine Vielzahl an Vortragenden – insgesamt fünf oder sechs. Dabei variierten die Geschichten von der phantastischen Kurzgeschichte zum tiefgehenden Poetryslam. Die Autor*innen entstammten dabei aus meinem Netzwerk und die Lesung selbst fand im frühen Sommer statt – noch nicht zur Leipziger Buchmesse. Geplant waren 30 Tickets – mehr war gar nicht vorgesehen. Verkaufen konnten wir 40 Stück, 50 Gäste hatten wir zum Schluss. Ein voller Erfolg!

Um die Veranstaltung breiter aufzustellen, verlegten wir die Lesung auf die Leipziger Buchmesse, suchten frische Autor*innen und mussten sogar die Preise erhöhen. Die Verkaufszahlen sahen ähnlich aus – die beiden Veranstaltungsorte waren voll. Es kamen Anfragen von Autor*innen ein, die gerne teilnehmen würden und sogar Kartenkäufe aus dem deutschsprachigen Ausland. Mit so einer Resonanz hatten wir nicht gerechnet. Wir werden gefragt, ob wir diese Veranstaltung auch an andere Orte stattfinden lassen könnten, oder ob man unser Konzept kopieren könnte. Die Nachfrage ist groß – nicht nur in der Phantastikszene.

Gibt es vielleicht eine Art geheimer Verbindung zwischen selbst gebrauten Craftbeeren und phantastischer Literatur? Wie könnte die aussehen?

Es gibt viele Verbindungen zwischen generell der Literatur und dem Craftbeer: der Genuss, die Suche nach etwas Neuem, Kreativität, Gemeinsamkeit und Kultur.

Magie und Zauberei …

Das Erschaffen einer guten Geschichte braucht ebenso feine und frische Gewürze, wie das Craftbier-Brauen. Und beides erzählen Geschichten. Es entführt Genießende in fremde Welten und in die Visionen der Herstellenden oder Schreibenden. Mal ist das ein luftiges Schloss, mal ein tiefer Wald. Und Sobald die Reise beendet ist, kann sich darüber ausgetauscht werden.

Und natürlich – wenn man an Magie und Zauberei denkt – so ist das Biertrinken eine Tradition. Kaum eine Rollenspielgruppe findet sich nicht zu Beginn ihrer Reise in einer Taverne, mit einem riesigen, hölzernen Krug Bier. Johlend und Lachend werden die ersten Geschichten erzählt. Das Bier hat in Videospielen oft interessante Buffs und Debuffs – also Zusätze, die einem helfen, aber auch schaden können. Die Alchemie wird oft thematisiert. Sie umwabert eine mysteriöse Aura.

Wusstet ihr, dass die ersten Bierbrauerinnen die Vorlagen der Hexen waren? Diese magischen Frauen werden in der Popkultur oft mit den spitzen, schwarzen Hüten gekennzeichnet, die damals getragen wurden.

Welche Rolle spielt das „Leipzig-Feeling“ bei euren Lesungen? Besser gefragt: Wie äußert es sich?

Die phantastischen Bierwesen war zuerst als Kneipentour über die Karl-Liebknecht-Straße konzipiert. In der wundervollen Getränkefeinkost an der Wurzel der KaLi begannen wir. Dort lasen wir dem geneigten Publikum phantastische Geschichten vor, beeindruckten sie mit dem ersten Bier und führten sie dann zu Fuß den Weg über die Barmeile. Eigentlich sollte uns eine weitere Kneipe die Pforten öffnen, doch leider fiel diese kurz vor der ersten Vorstellung aus, sodass wir ohne Unterbrechung den circa zwanzigminütigen Spaziergang zum Dr. Hops vornehmen konnten. Etwa fünfzig Personen war das durchaus einen Blick wert. Während wir uns ungezwungen unterhalten konnten, zogen wir das Interesse der Menschen auf uns, die vor den Restaurants, Bars und Kneipen saßen. Die Stimmung war großartig, ungezwungen – immerhin hatten wir auch einen Fußpilz dabei. Die Gäste unserer Lesung konnten so Leipzig näher kennenlernen.

Neue Blicke auf Leipzig – mit oder ohne Alkohol …

Seit Corona finden die Bierwesen nur noch im Dr. Hops statt: in einer großartigen, liebevollen Craftbierbar und – wenn ich es aus meiner Sicht sagen darf – an einem wertvollen Kulturort. Ich empfehle jedem – auch unabhängig der Biewesen – das Dr. Hops gegenüber der HTWK zu besuchen, die wundervolle Belegschaft kennenzulernen und ein leckeres Bier zu trinken. Auch alkoholfrei.

Wie bereitest du dich auf die Moderation vor? Kannst du bitte auch was über die drei Autor:innen erzählen, die da lesen werden?

Ich bin immer nervös vor einer solchen Veranstaltung. Treffe ich die richtigen Worte? Vergesse ich nichts? Bin ich unterhaltsam und noch viel wichtiger: Kann ich alle Beteiligten ordentlich und informativ vorstellen? Wenn wir auf der kleinen Bühne des Dr. Hops stehen, schauen um die 50 Gesichter erwartungsvoll zu uns. Sie haben gute Laune, sind aber auch zu einem gewissen Prozentteil von der Messe müde. Ich muss sie alle mitnehmen. Durch die Verkürzung des Events fällt für mich ein wenig Moderation weg, doch natürlich möchte ich den Autor*innen und dem Dr. Hops gerecht werden. Das heißt, dass ich mich im Vorfeld mit den Autor*innen berate, mir ihre Bücher anschaue und sie frage, wie sie gerne vorgestellt werden würden. Und am Ende löst sich alles, ich quatsche darauf los, erzähle aus dem Herzen. Die Stimmung war bisher immer großartig, das reißt mit Und dann funktioniert es einfach.

In diesem Jahr – das zweite Mal mit neuem Konzept – haben wir zwei altbekannte und einen neuen Autor mit dabei.

Es lesen … Janika Rehak, Tom Finn und Vincent Voss. Kurze Vorstellungsrunde

Vincent Voss ist die Helene Fischer des deutschen Horrors. Er verknüpft Stephen King mit Lokalkolorit, aber das allein würden seine Werke nicht gerecht werden. Viele seiner Romane und Geschichten sind im Verlag Torsten Low erschienen.

Janika Rehak ist eine Bremer Autorin. Besonders spannend findet sie Brüche, Umbrüche und scheinbar Zerbrochenes, was sie in ihren tiefgründigen, surrealen Geschichten verarbeitet. Dabei sind ihre Werke von Musik und Kunst geprägt. Die tiefgehende Beschäftigung mit ihren Figuren macht ihre Erzählungen zu etwas Besonderem.

Thomas Finn wird das erste Mal bei den Phantastischen Bierwesen dabei sein. Er ist preisgekrönter Spiele- und Romanautor, die meisten werden ihn vermutlich als einer der Autoren für das deutsche Rollenspiel „Das schwarze Auge“ kennen. Dabei schreibt er auch großartige Fantasyromane und arbeitet unter anderem auch für die ARD, Sat1 und NDR.

Ich finde diese Konstellation in diesem Jahr sehr spannend. Durch meine Auswahl an Autor*innen waren die Geschichten der letzten Jahre sehr vom Horror geprägt. Mit Janika Rehak und Thomas Finn brechen wir dies ein wenig auf. Dabei arbeiten wir eben mit den Bekannten und Unbekannten.

Du hast mir sofort recht gegeben, als ich schrieb, dass diese Lesungen doch ein recht eigensinniges Unterfangen seien … Kannst du das bitte ein wenig ausführen?

Als wir die ersten Ideen für die Bierwesen besprachen, war das ein sehr eigensinniges und riskantes Projekt. Durch die verschiedenen Lokalitäten und der großen Anzahl an Beteiligten, war es nicht nur organisatorisch ein großer Aufwand, sondern auch finanziell. Immerhin sollten die Gäste auch drei verschiedene Biere serviert bekommen und niemand garantierte uns, dass wir nicht die Hälfte der Gäste unterwegs verlieren würden.

„Die Bierwesen haben ihren eigenen Willen“

Wir setzten die Ticketpreise beim ersten Mal sehr gering an – die Kosten wurde gerade so gedeckt. Unabhängig davon war nicht abzusehen, ob den Gästen die Literatur überhaupt gefallen würde oder die Tatsache, dass die Veranstaltung gut drei bis vier Stunden dauern konnte, sie nicht in die Flucht schlagen würde. Es gab so viele Risiken, dass einem vermutlich erst einmal davon abgeraten werden würde. Aber in der Getränkefeinkost Leipzig und im Dr. Hops fand ich starke und unglaublich tolle Unterstützende und Mitorganisatoren.

Aber selbst, als die Veranstaltung das erste Mal funktioniert hat und wir sie weiter ausarbeiteten, war nie klar, ob wir genug Beteiligte (immerhin zwei Autor*innen und ggf. vier Poetryslammer*innen) zusammenbekommen würden. Wir hatten eine steile Lernkurve. Jedes Jahr verfeinerten wir das Projekt. Corona setzte es dann beinahe auf den Start zurück – viele Fragen brachen wieder auf. Das neue Konzept gibt uns die Möglichkeit, viele Risiken zu umgehen oder auszubremsen – und die Veranstaltung geht nicht mehr ganz so lange. Aber grundlegend ist es doch etwas Einzigartiges – von der Stimmung her auf jeden Fall. Die phantastischen Bierwesen haben ihren eigenen Willen. Sie haben sich weiterentwickelt und stellen uns immer wieder vor neue Herausforderungen. Es wächst, breitet sich aus und wurde von einem riskanten Unterfangen zu einer Tradition.

 

DANKE!

Immer gerne! Ich danke ebenfalls für diese tollen Fragen.

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