Eigensinn steht nie für sich allein, führt immer wieder zu Dialogen, als Prozess auch mitten ins eigene soziale Umfeld. Manchmal sogar bis in gesellschaftliche Auseinandersetzungen – schließlich ist mit dem Eigensinn im Idealfall auch eine Haltung verbunden. Und natürlich der Gedanke: „Das Ich möchte erzählen!“
Inhalt
Ich darf sein
Die Journalistin Jana Hensel stellt das derzeit in Deutschland sehr klar unter Beweis. So schreibt sie im Vorwort ihrer „Geschichten aus Ostdeutschland“ mit dem Titel: „Wie alles anders bleibt“, dass sie all ihre Texte nur darum geschrieben habe, „weil ich fand, es müsste sie geben“. Ein Ich ist für sie im Erzählen eine Art Notwendigkeit, die Schreibform, die sie am liebsten wählt. Und oft gegen Widerstände in Zeitungs-Redaktionen durchsetzen muss.
Allein das macht Hensel schon recht eigensinnig.
Ihre Begründung: „Ein Ich erscheint mir nie aufdringlich oder gar wichtigtuerisch. Im Gegenteil, es ist die ehrlichste Form zu sprechen. Ein Ich ist fragil und zweifelnd.“ Da spricht die vielfach ausgezeichnete Journalistin natürlich von ihrem eigenen Ich – von welchem auch sonst? Dieses Ich stellt viele Fragen, zweifelt nicht selten „an dem, was so landläufig erzählt und gedacht wird, worauf man sich längst glaubt mit gutem Recht verständigt zu haben.“
Jede Geschichte (er)zählt
So ein fragiles, zweifelndes Ich, das Fragen stellt, ist ein wunderbarer Ausgangspunkt, um eigensinnig zu schreiben. Ganz egal, ob diese Fragen sich mit eigenen Themen beschäftigen. Oder ob dadurch – wie bei Jana Hensel – andere Menschen ohne Wenn und Aber zu Wort kommen können. Denn sie sagt auch: „Zu meinen schönsten Erfahrungen zählt, dass beinahe jeder Mensch gern gefragt wird, dass jeder eine Geschichte hat, die individuell und universal gleichermaßen ist.“ Da ist es dann jeweils das Ich ihres Gegenübers, das erzählt. Und beides hat für Jana Hensel gleichermaßen eine Berechtigung, das eigene wie das fremde Ich.
Ich glaube, darin liegt ein Geheimnis von Hensels Erfolgs: Sie respektiert im gleichen Maß sich selbst, ihre Geschichte(n), ihre Erfahrungen, ihre Fragen wie die Geschichten, Erfahrungen und Fragen der von ihr Interviewten. Da spricht sozusagen auf beiden Seiten immer ein „Ich in seiner ehrlichsten Form.“ Das ist die wohl wichtigste Grundvoraussetzung, um sich gegenseitig verständigen – und verstehen – zu können.
Verbindungen schaffen
Jana Hensel ist nur eines von mehreren Beispielen, in denen es Autor:innen gelingt, durch ihre Erzählperspektive, mit ihrem Blick, ihren Erfahrungen Verbindungen zu schaffen, Perspektiven einzunehmen, die sonst kein Mensch so ohne weiteres im Blick haben könnte. Das war schon immer die ganz besondere Stärke von Büchern. Oder von guten Reportagen. Egal, in welcher medialen Form, für mich gilt hier immer: Nur indem ein glaubwürdiges ‚Ich‘ erzählt, kann das entstehen, was heute an so vielen Stellen gefordert wird: Lasst uns Diversität leben! Klingt gut. Aber ich fürchte: Ohne, dass wir uns die Blicke anderer Menschen auf die Welt klarmachen, wird das nicht funktionieren!
Und genau dafür ist meines Erachtens der gelebte und schreibende Eigensinn ein ganz wunderbarer Kompass. Wir sollten es versuchen!
Und manchmal kann ein Ich gar nicht anders…
Biografisch eigensinnig nenne ich alle Bücher, bei denen die Autorin oder der Autor einfach gar nicht anders kann, als genau das zu schreiben, was er oder sie schreiben MUSS.
Ein gutes Beispiel sind die Geschichten der sogenannten Kriegsenkel: Kinder von Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt – und oft jahrzehntelang darüber geschwiegen – haben. Da sind zahllose Geschichten ‚aufgelaufen‘, denn deren Kinder sind oft ebenfalls traumatisiert und haben 40 oder 50 Jahre lang einfach nicht verstanden, was mit ihnen los ist. Scheinbar ging es ihnen doch so gut wie kaum einer Generation je zuvor. Da sind im Moment viele Geschichten in Buchform unterwegs – Geschichten, die unbedingt erzählt werden wollen. Genauso wie die Geschichten von Ost- und Westdeutschen den jeweils anderen unbedingt so offen wie möglich erzählt werden sollten. Von Flüchtlingsgeschichten ganz zu schweigen …
Bei alldem geht es um gegenseitiges Verstehen – eine der wichtigsten Funktionen des Geschichtenerzählens überhaupt. Viele solcher Bücher erscheinen heute als Selfpublishing-Produkte. Und das ist gut so, denn nur auf diese Weise behalten Autor/innen von Anfang bis Ende freie Hand, genau das zu erzählen, was sie zu erzählen haben: in ihrem Sprachduktus, ihrer Form.
Die Trilogie des Eigensinns
In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.