„Nach dieser Reise war ich total angefixt. Mir war klar, ich wollte zurück nach Indien – diesmal auf eigene Faust. Ich wollte das Land und die krasse Energie, die dort überall zu spüren ist, richtig kennenlernen …“ Das erzählt Uli. Und er hat sein Leben damit völlig umgekrempelt.

Gelebter Eigensinn

Das „Umkrempeln“ ist etwas, das trifft auf alle Menschen zu, die in diesem Buch zu Wort kommen. Mal geschah es geplant, sehr oft völlig ungeplant, aus einem Zufall, einfach aus dem Leben heraus. Allein das wirkt auf mich ziemlich ansteckend. Ja: Die haben das wirklich alle genauso gemacht. Ort und Beruf gewechselt, sind von einem großen Haus in einen Camping-Van umgezogen, von Deutschland nach Indien und zurück, oder nach  Mittelschweden ausgewandert – bis kurz vor die Grenze zu Lappland. Klingt abenteuerlich. Und war es sicher auch oft.

Wichtig ist natürlich auch der Untertitel: „Mitten im Leben neu durchstarten“. Bedeutet: Wirklich jung ist keiner der Menschen, deren Geschichten wir hier lesen dürfen. Bedeutet für mich einmal mehr: Eigensinn und das Älterwerden haben vieles gemeinsam. Denn eigensinnig sind für mich all die Protagonistinnen und Protagonisten, die hier zu Wort kommen.

Leben im Jetzt

Alle Menschen, die da erzählen, wissen genau, was sie tun. Und wollen es nicht anders. Sie sind frei – ohne sich einzuengen, denn oft scheint da auch die Erkenntnis durch: Es muss ja nicht für immer sein. Aber jetzt, jetzt muss es eben sein. Genau so. Und darum wird es gemacht. Die Gründe sind dabei eher zweitrangig … Es geht oft einfach um gelebtes Leben. Und zwar im Jetzt. Die Botschaft ist häufig: Was dir spontan richtig erscheint, darfst du auch leben. Und: Wir können und dürfen die Verantwortung auch für große, spontane Veränderungen übernehmen.

Die einen rempeln sich aus Versehen beim Tanzen gegenseitig an, gründen eine Familie und sanieren Jahrzehnte später eine alte Bauernkate aus dem Mittelalter. Das bedeutet: Kompletter Umzug, mit allem Drum und Dran und ohne so was wie eine Garantie, dass die beiden, die jetzt Mitte 50 sind, auch als „Senioren“ dort noch leben wollen. Oder können. Was soll’s?, fragen sie und sind sich sicher: „Wir sind nicht zu alt für Abenteuer – und verschieben nichts auf irgendwann.“

Oder Tanja und Annette. Die beiden krempelten in allerkürzester Zeit ihre selbstständige Arbeit mal eben komplett um: „Das ist alles so passiert, fast aus Versehen.“ Klingt nach Leichtsinn? Nein, sicher nicht. Denn beide hatten schon jede Menge Erfahrung, wussten, worauf sie sich verlassen, was sie leisten konnten, was sie aneinander hatten. Und was der Markt derzeit am allerdringdsten brauchte. Genau das lieferten sie, bauten es zu einem gemeinsamen Business aus. Und zwar extrem erfolgreich.

Mit so einem Ansatz kann und sollte man sich natürlich auch weiterentwickeln – auch und gerade dann, wenn die ganze Sache anfangs nach einem Misserfolg aussehen sollte. Dann gilt beispielsweise: „Misserfolge können dich nur stärken. Wenn du das geschafft hast, schaffst du noch viel mehr!“ Das sagt Ilona, das hat sie so erlebt. Und gelebt.

Hautnah, zielstrebig, einfühlsam

Wir sind bei allen Menschen diesen Buchs immer hautnah mit dabei. Denn Heike Abidi gibt die Protokolle der Gespräche mit „ihren“ Protagonist:innen so zielstrebig wie einfühlsam wieder. Wo das nicht reicht, kann es auch schon mal ein Interview werden – ganz nah am Menschen.

Selbst Worst-Case-Szenarien oder gar Depressionen halten all die „ungewöhnlichen Menschen“ (Klappentext), von denen dieses Buch erzählt, nicht auf. Sie hören auf sich, finden zu sich, riskieren manchmal einiges. Und gewinnen immer.

Ist es wirklich so „ungewöhnlich“?

Dass die Autorin betont, selbst eigentlich gar keine „Abenteurerin“ zu sein, schafft ein wunderbares Gegengewicht zu all dem, was ich oben beschrieben habe. Mich hat sie damit ab und an auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt – war manchmal nötig … Das gilt auch für die praktischen Hinweise, die das Buch zu Themen wie „alternative Wohnformen“, beruflichen Spätzündern, Burnout oder als „Bedenkenträger-Bullshit-Bingo“ zu bieten hat. Und doch: Gleich im nächsten Kapitel ist man wieder bei einem dieser „ungewöhnlichen Menschen“, die einfach das leben, was sie leben wollen, leben müssen.

Am Ende habe ich mich gefragt: Sind diese Menschen wirklich so „ungewöhnlich“? Oder können, sollten wir uns nicht alle ein „Scheibchen“  bei ihnen abschneiden? Wünschen würde ich es mir … Denn damit sind wir ja schon mitten in meiner Definition von Eigensinn: Der beginnt da, wo etwas genauso gemacht werden muss, wie es eben gemacht wird. Weil es genau jetzt, genau für den agierenden Menschen Sinn macht. Darin ist sich dieser Mensch ganz sicher. Und verschwendet keine ängstlichen Blicke nach rechts oder links, lässt sich von seinem Kompass, seinem Eigensinn führen.

Genau diese innere Haltung habe ich bei all den Menschen gefunden, die in diesem Buch zu Wort kommen: Eigensinn. Und in einem Fall führt der auch wirklich geradewegs aus einem depressionsgetriebenen Burnout hinaus. Genauso, wie Ursula Nuber schon vor längerem über den Eigensinn schrieb: Er ist die wirksamste Strategie gegen Burnout und Depression.

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Coverbild der Edition MIchael Fischer

Das Buch

Scheissegal, ich mach das jetzt! Heike Abidi, 272 Seiten 13 Euro, ISBN: 9783745912692

Erhältlich beispielsweise im Shop der Autorenwelt. Und überall, wo’s Bücher gibt.

(Erschienen in der Edition Michael Fischer, das Buch habe ich mir selbst gekauft – nur das Coverbild stammt vom Verlag.)

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