„Atlas der abgelegenen Inseln – Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und auch niemals sein werde“ Allein dieser Titel! Und die Gestaltung! Wie eine große Kladde, hellblauer Grund und ein breites Leinenband rund um den Buchrücken. Sattes Orange der Zwischenblätter im Innenteil und im Anschnitt außen – also die äußere Kante jeder einzelnen Seite. Kurz: rundum wunderbar gestaltet. Illustration, Gestaltung, Satz: Judith Schalansky. Und die Texte sind ebenfalls von ihr. Kostprobe: „Als sie in die Braithwaite-Bucht einlaufen, liegt die Insel da wie ein verriegeltes Haus. Das Wasser scheint tot, der nasse Steinstrand glänzt kalt unter Lavaklippen und buschborstigen Hügeln, und ein Matrose, der am Abend einen kurzen Ausflug an Land unternimmt, kommt niedergeschlagen zurück, als hätte er etwas besonders Trostloses gesehen.“

Das war nur einer dieser fünfzig, äußerst komprimierten Texte, mit denen die Autorin Inseln beschreibt, die sie noch nie gesehen hat. Sie ist bekennendes „Atlas-Kind“: „Wahrscheinlich liebte ich Atlanten deshalb so sehr, weil mir ihre Linien, Farben und Namen die wirklichen Orte ersetzten, die ich ohnehin nicht aufsuchen konnte“, schreibt die in Greifswald Geborene im Vorwort. Es geht um das Potenzial der Sehnsucht – und das riesige Geschichten-Reservoir, das darin steckt. Viele der Inseln bergen ihren jeweils ganz eigenen Schrecken.

Für Schalansky gilt tatsächlich: Es sind „gerade die schrecklichen Begebenheiten, die das größte erzählerische Potenzial haben und für die Inseln der perfekte Handlungsort sind. Während die Absurdität der Wirklichkeit sich in der relativierenden Weite der großen Landmassen verliert, liegt sie hier offen zutage.“ Ich vermute ja: Genau diese „Absurdität der Wirklichkeit“ ist für Judith Schalansky eine wichtige Quelle ihres Eigensinns, der so wunderbar gestalten und erzählen kann. Beides ist belegt. Und das mit dem Eigensinn ist bei ihr eine Zuschreibung, die sich mir förmlich aufdrängt.

Es ist nicht das erste Buch, das sie geschrieben hat. Mindestens ebenso wunderbar in Text und Gestaltung ist das Verzeichnis einiger Verluste. Und außerdem gestaltet sie gleich eine ganze Buchreihe, die ebenfalls wunderbar ist, wunderbar eigensinnig: Für den Verlag Matthes & Seitz kümmert sie sich um die Gestaltung der „Naturkunden“.  Wen es interessiert – ich finde, hier genügt bereits ein Blick in die Verlags-Vorschau … Mich juckt es dabei immer in allen Fingern: Eines sieht aufregender als das andere aus (nein: Matthes & Seitz zahlt mir nichts für diesen Beitrag!)

Ich versuche hier ja nach und nach jene Menschen und Bücher vorzustellen, die mich überhaupt erst auf die Idee gebracht haben, der Eigensinn und das Schreiben – besser gesagt: die Buchwelt – könnte eine perfekte Kombination sein. Das glaube ich noch immer. Doch manchmal empfinde ich den Eigensinn als so stark, dass es mir schwerfällt zu beschreiben, woran das eigentlich liegt. Wie ich überhaupt auf die Idee mit dem Eigensinn komme … Bei Judith Schalansky ist das definitiv so: An manchen Stellen fehlen mir die Worte. Also bitte: Selber gucken!

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Das Buch ist derzeit leider vergriffen, soll aber wieder neu aufgelegt werden. Bitte mal im mareverlag hier nachsehen – oder antiquarisch kaufen.


 

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